Und dann nach Nikosia, eine Woche Sandstrand!

11 10 2013

Ein Mittag im September. Ich sitze mit zittrigen Händen im Büro vor dem Computer und drücke immer wieder auf die „F5“ Taste auf der Tastatur vor mir. Auf dem Bildschirm hantieren in einem verwackelten Stream Männer in Anzügen mit Kugeln auf denen klangvolle Vereinsnamen wie ‚Tromsö IF‘, ‚Schachter Qaraghandy‘ und ‚Anschi Machatschkala‘ stehen. Jede Kugel steht symbolisch für eine Reise in ein fremdes Land. Jede Kugel steht für ein noch zu erlebendes Abenteuer. Endlich ziehen sie die Kugel mit der Aufschrift ‚Eintracht Frankfurt‘ und legen sie zu zwei anderen Kugeln. Die Namen ‚Girondins de Bordeaux‘ und ‚APOEL Nicosia‘ sind darauf zu lesen. Das klingt nach Sonne! Nach Meer und Wein! Sehr schöne Gegner! Die Kugel von ‚Maccabi Tel Aviv‘ komplettiert die Gruppe schließlich. Drei interessante und doch schlagbare Teams warten auf die Eintracht. Drei Reisen in den Süden Europas warten auf die Fans! Eins ist klar: Es wird ein heißer Herbst!

Nicosia

Die erste Reise führt direkt in den südlichsten Zipfel des Kontinents. Nach einem überragenden ersten Heimspiel gegen Bordeaux, in dem sich in den ersten Minuten die komplette Frankfurter Europa-Euphorie wie ein Orkan über der Girondins entladen hat, steht am 2. Spieltag das Auswärtsspiel bei APOEL Nicosia auf dem Spielplan. Zypern also. Und das dank eines gnädigen Fußballgottes am 3. Oktober, so dass auch ich, mit meinem einen letzten Urlaubstag, noch mit dabei sein kann. So trete ich also an diesem Tag der deutschen Einheit, nach einer nervenaufreibenden langen Nacht in Athen, aus dem Flughafengebäude von Larnaca und schaue in die Sonne, die ihren Weg über den tiefblauen Himmel gerade erst beginnt, und mir doch schon wärmend entgegen strahlt. Ein Mietwagen steht bereits für mich auf dem Parkplatz bereit, in dem ich nach kurzer Überwindung auf der rechten Seite Platz nehme um ihn auf die linke Spur der nahen Autobahn zu steuern. Die anfänglich durch das links fahren aufgerufene Irritation ist jedoch recht schnell weitestgehend verflogen und schon kurze Zeit später rollt der Wagen über Schotter, und kommt wenige Meter vor dem Meer zum stehen. Das Wasser schillert in allen blau tönen. Jetzt erstmal eine kurze Hose anziehen und ein paar Minuten in die Sonne! Danach kann es weiter gehen. Nach Nicosia, ins Zentrum der Insel.

Nicosia

Die Grenze kommt plötzlich und unerwartet. Man läuft mitten in der Stadt um eine Ecke und steht plötzlich vor Stacheldraht und zerfallenen Häusern. Nicosia ist seit bald 40 Jahren getrennt und quer durch die Altstadt zieht sich die von der UN bewachte green line. Ein Schauer fährt mir über den Rücken als ich an den verbarrikadierten Ruinen vorbei laufe, in denen mit Sandsäcken Geschützpositionen errichtet wurden.  Es ist mittag. Die Sonne brennt mittlerweile senkrecht vom immernoch beeindruckend blauen Himmel. In den engen Gassen herrscht geschäftiges Treiben, aber je näher man der Grenze kommt, umso leerer werden die Straßen. Unwirklich. Eine perfekt symmetrische Altstadt, mit einer 12-Eckigen Befestigungsanlage wie aus dem Musterbuch, und mitten durch zieht sich dieses Band aus Schutt und Soldaten. Selbst für den unbeteiligten, neutralen Beobachter ist das ein gänzlich unbefriedigender Zustand.  Immerhin gibt es in Verlängerung der Einkaufsstraße im Süden einen Grenzübergang, der für Touristen ohne großen Aufwand zu passieren ist.  Ich stolpere für eine halbe Stunde hinüber in die Türkei, esse einen Kebab, schlendere über die Basare und besichtige die alte Karawanserei. Dann geht es zurück in den griechischen Teil. Mittlerweile versammeln sich mehr und mehr Eintrachtfans in den Bars und Cafés der Stadt. Wohin man schaut laufen einem nun gut gelaunte Frankfurter entgegen. Ich kehre ins Hotel zurück und lege noch eine Stunde auf dem Balkon die Füße hoch. Es wird ein langer abend!

Nicosia

Als ich am Nachmittag wieder in die Innenstadt komme ist die Einkaufsstraße bereits zur Partymeile umfunktioniert. Ein paar Einheimische mischen sich begeistert unter die Menge. Einige APOEL-Fans sind dabei, die sich über das Spiel austauschen wollen, vor allem aber Fans des Rivalen Omonia, die teilweise bereits mit Eintracht-Fanutensilien bestückt, lachend viel Glück wünschen. Man ist sich einig: Es steht ein stimmungsvoller Abend bevor! Ganz am Rand stehen 3 Polizisten, lächelnd und in entspannter Haltung an ihr Auto gelehnt. Auch Familien laufen amüsiert durch die Menge. Nach einer kleinen Runde und einigen geschüttelten Händen finde ich weitere Mitglieder vom EFC Per Sempre in der Menge. Kurz darauf setzt sich der Tross von ca 2000 Mann singend und in bester Laune in Bewegung, in Richtung Busparkplatz. Ein hauch von Derby-Marsch. Das Spiel findet jedoch zu weit außerhalb statt, um den ganzen Weg zu Fuß gehen zu können. Eine öffentliche Nahverkehrsanbindung besitzt das Nationalstadion draußen in der Pampa auch nicht. Die Fanbetreuung hat aber dankenswerterweise genügend Busse für alle Fans organisiert. So wird alsbald eine Kolonne aus sicher 20-30 Bussen von der Polizei durch die Stadt geleitet, während draußen die Sonne untergeht und der Abend beginnt.

Nicosia

Vor dem Stadion gibt es nicht viel zu tun.  In Ermangelung von Kneipen oder Bierständen stehen die meisten von uns bereits 2 Stunden vor Spielbeginn auf der Tribüne und singen sich warm. Ein kühler Wind weht durch das weite Rund. Einige der Eintrachtbosse kämpfen sich händeschüttelnd und Fotos machend durch den Block. Stück für Stück füllt sich auch die gänzlich orangene Kurve auf der anderen Seite.  Und dann legen die plötzlich los, und nicht wenige auf unserer Seite stehen mit offenen Mündern da. Der Wind trägt extrem lautstarke, melodische Chöre über das Spielfeld. Eine derartige Geräuschkulisse würde ich mir in den großen Bundesligastadien wünschen! Für dieses kleine, offene Stadion ist das absolut sensationell! „Welcome to the orange hell“ grüßt ein großer Banner vor der Kurve, während unten die Mannschaften einlaufen und unser Block in Flammen aufgeht! Da ist sie wieder, diese Euphorie, die schon gegen Bordeaux übergegriffen hat. Die Eintracht in Europa! All die Jahre des Wartens, all die Ausflüge nach Paderborn und Aue. In diesem Moment ist das alles vergessen!

Nicosia

Nicosia

Das Spiel bleibt hinter den Rahmenbedingungen etwas zurück. APOEL startet engagiert aber mit wenig Qualität, die Eintracht tut nur was Sie tun muss und führt zur Pause mit 1-0. Auf den Rängen haben die Eintrachtfans zumindest gefühlt die Oberhand gewonnen. Doch auch von der selbsternannten orangenen hölle sind trotz Gegenwind immer wieder lautstarke Anfeuerungen zu Vernehmen. Das mit der Hölle ist vielleicht aber doch etwas zu hoch gegriffen. Um die Spieler zum zittern zu bringen, wie es uns noch mittags in der Stadt prophezeit wurde, reicht das bei weitem nicht. Auch nicht die paar verrückten Zyprioten die wiederholt auf das ca. 20m hohe Netz vor der Kurve klettern um dort Flaggen zu hissen. Unsre Jungs spielen das Spiel in der zweiten hälfte betont locker runter und siegen am Ende verdient mit 3-0. Die Eintrachtkurve tobt. Zwischendurch tauchen immer wieder bengalische Feuer beide Kurven in rotes Licht. Ein rundum gelungener Fußball-abend am südlichen Rand des Kontinents neigt sich bereits dem Ende zu als es dann doch nochmal kracht. Unter der Tribüne geraten Fans mit Polizisten aneinander, die den Block nach dem Spiel abriegeln wollen. Der Tumult ist aber recht schnell behoben und wir können das Stadion verlassen und nach einer Rückfahrgelegenheit in die Stadt suchen. Leider sind die wenigen Taxis schnell weg. Der große, dunkle Parkplatz und die zuvor gehörten Geschichten über die weniger gastfreundlichen Fans von APOEL sorgen jetzt für ein ungutes Gefühl. Zu zweit finden wir schließlich Unterschlupf bei einer kleinen Gruppe Frankfurtern, die einen Kleinbus bestellt haben. So kommen wir irgendwann um 2h Nachts wieder ins Zentrum von Nicosia und steuern erschöpft auf direktem Wege unsere jeweiligen Hotels an.

Nicosia

Eine frische Brise durchstreift am Vormittag die Kiefern auf dem Mt. Olympos. hier oben auf fast 2000m ist es gleich ein paar grad kühler als auf dem Rest der Insel. Es gibt sogar ein kleines Skigebiet, in dem man im Winter mit Blick auf das Mittelmeer Ski fahren kann. Entlang einer kurvigen Straße bin ich aus den trockenen Ebenen rund um Nicosia hinauf in die Berge gefahren. Kleine verschlafene Dörfer in engen Tälern säumten den Weg und immer wieder brach der Kiefernwald auf und gab weite Blicke über Hügel, Ebenen und Meer frei.  Nun liegt mir die ganze Insel zu Füßen. Und während mein Blick so über das Plateau mit den Kiefern streift fällt mir auch sogleich das T-Shirt mit der Aufschrift „Europacup in diesem Jahr!“ auf. Frankfurter. Überall. Ein kurzer Plausch über das Spiel und die weiteren Reisepläne. Mit am spannendsten sind die teilweise kuriosen Wege auf denen die 2000 Adler hier in Nikosia eingetrudelt sind. Flüge von Frankfurt, Stuttgart, Düsseldorf über London, Paris, Wien, Beirut. An jedem nennenswerten Flughafen Europas müssen in dieser Woche ein paar Adler gelandet sein. Mit Athen und Warschau konnte auch ich ein paar eher ungewöhnliche Zwischenstops in die Liste eintragen. Nach einem kurzen Austausch steige ich wieder ins Auto und fahre auf der anderen Seite des Gebirgskamms wieder nach unten, durch Weinberge und Dörfer aus schneeweißen Häusern mit ziegelroten Dächern, immer dem hellblau leuchtenden Meer entgegen.

Nicosia

Das Wasser ist klar und warm und der Strand fast menschenleer. Kurz vor der Küste hatte ich die Hauptstraße verlassen und war auf einem kleinen Weg der schließlich in eine Schotterpiste mündete quasi bis auf den Strand gefahren. Ein herrlicher Nachmittag in der Sonne rundet diese schöne Kurzreise ab.  Als die Sonne schon droht hinter dem Berg zu versinken packe ich meine Sachen wieder zusammen und mache mich auf dem Weg zurück nach Larnaca. Zum Sonnenuntergang stoppe ich noch in der nahe gelegenen Bucht Petra tou Romiou die mit ihren spektakulären Steilküsten in der Antike als der Geburtsort der Aphrodite galt. Das Mittelmeer ist hier wild und weit. Der himmel leuchtet in allen Farben. Der Vorhang dieses Europacup-Trips könnte kaum spektakulärer fallen. Möge er sich schon bald wieder öffnen für den nächsten Akt!

Nicosia

mehr Bilder aus den Bergen:

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Sonne Meer und Strand

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Nicosia

Stopover in Warschau…

Nicosia





Auswärtsspiel in einer anderen Welt

29 08 2013

Als das Los dann endlich gezogen war und Qarabaq Agdam darauf stand wich die große Vorfreude erst einmal einer gewissen Ernüchterung. Ein Traumlos im Europacup sieht anders aus. Auch eine kurze Google-Recherche konnte die Stimmung nicht wieder anheben. Sie ergab immerhin, dass Agdam eine Stadt im westlichen Aserbaidschan ist, die im seit 1993 umkämpften und immer noch offiziell als Kriegsgebiet geltenden Berg-Karabach liegt. Eigentlich muss man sagen lag, denn die Stadt wurde von Armenien besetzt und komplett dem Erdboden gleich gemacht und fristet nun seit knapp 20 Jahren ein Dasein als Geisterstadt in Ruinen. Wie die meisten Einwohner zog auch der ehemals dort ansäßige Fußballverein FK Qarabag um in die Hauptstadt Baku.

Baku

Baku also. Eine graue, ölverdreckte Stadt am kaspischen Meer, gezeichnet von umkämpften Konflikten und Jahrzehnten der Randlage in der Sowjetunion. Hauptstadt eines Landes das laut Wikipedia auf Platz 135 des Demokratieindexes und auf Platz 152 der Rangliste der Pressefreiheit steht. Ein Land in das die Einreise nur mit einem Visum möglich ist, für das die Botschaft in Deutschland mindestens 14 Werktage braucht. Eine Stadt gelegen in einem verschmutzten und umkämpften Zipfel Land irgendwo im nirgendwo, die nächste nennenswerte Stadt auf der Landkarte heißt Teheran. Das alles klingt nicht wirklich nach einem guten Ziel für einen entspannten Wochenendausflug. Und doch wollte ich den Traum, beim ersten Europacupspiel der Eintracht seit 7 Jahren dabei zu sein, nicht einfach beerdigen. Ein paar weitere Googleanfragen brachten mich immerhin zu dem Ergebnis, dass Baku eigentlich gar nicht so grau ist wie sein Ruf und zudem in den letzten Jahren dank üppig vorhandenem Ölgeld neu erblüht und sich dramatisch entwickelt. Außerdem gelang es der Eintracht in Absprache mit dem Konsulat eine Ausnahmeregelung bezüglich der Einreise auf die Beine zu stellen, so dass das Visum für Fans vor Ort am Flughafen ausgestellt werden konnte. Das Kribbeln kam langsam aber sicher wieder und als ich dann 7 Tage vor dem Spiel, nachts um 1h, noch ein Ticket über Moskau zu einem angemessenen Preis fand, konnte ich nicht mehr nein sagen! Ich wusste einfach, dass ich diesem Trip ewig hinterhergetrauert hätte. Gerade weil es Baku war. Gerade weil man dort sonst vermutlich nie wieder hin fährt. Ich kratzte also mein Geld zusammen, packte meinen Koffer und machte mich auf den Weg.

Baku

„Gude“. Das erste Wort, das vielen an diesem morgen in Baku aus unterschiedlichsten Fliegern steigenden Eintrachtfans entgegenkam war Gude. Eine freundliche Einreisebeamtin hatte sich von einem Fan aufschreiben lassen was „hello“ auf deutsch bedeute. Und so werden wohl in Zukunft noch viele deutsche Touristen verdutzt schauen, wenn ihnen in diesem fremden Land als allererstes ein herzliches Gude zu Teil wird. Müde und etwas nervös stolperten an diesem frühen morgen ca 15 Eintrachtfans mit mir aus dem Flieger aus Moskau. Zwei mal 3 Stunden Flug und 8 Stunden Wartezeit am Flughafen Sheremetyevo hatten ihre spuren hinterlassen. Zumal sich 8 Stunden Wartezeit an einem Flughafen nunmal am besten mit Dosenbier überbrücken lassen. Und jetzt stand uns der Moment der Wahrheit bevor. So ganz überzeugt waren wir alle noch nicht, dass die aserbaidschanischen Einreisebeamten unser semioffizielles, auf deutsch aufgesetztes schreiben des Konsulats, dass uns die Ausnahmeregelung zusicherte, auch wirklich akzeptieren würden. Doch die Beamten waren ausgesprochen freundlich und entspannt. Einen ausgefüllten A4-Bogen, 60€ und 10 Minuten später standen wir allesamt draußen vor dem Flughafen. Die aufgehende Sonne färbte den Horizont glühend rot. Die Party konnte beginnen!

Baku

Das Umland von Baku mutet an wie ein schlechter Film der in einer fernen Zukunft nach dem Untergang der Zivilisation spielt. Die staubige Wüste wird nur von einigen holprigen Schotterstraßen durchzogen. Überall stehen alte verfallene Mauern, Ölpumpen, rostige Pipelines, dazwischen vor langer Zeit liegengebliebene sowjetische Lastwagen. Am Horizont markieren riesige Flammen Raffinerien und Ölbohrinseln. Es ist ein gottverlassener Flecken Erde, der jedem schlechten Klischee über dieses Land zu 100% entspricht. Am Flughafen hatte ich mit 3 anderen Eintrachtfans ein Taxi genommen. Wir waren auf dem neuen Prachtboulevard entlang gigantischer Baustellen ins Zentrum gefahren, das mit seinen alten Gebäuden und grünen Parks sauber und europäisch wirkt. An der Uferstraße entlang des kaspischen Meeres ging es dann wieder hinaus aus der Stadt, und kaum war das Zentrum außer Sicht änderte sich das Bild schlagartig. Verkehrschaos, Menschen überall, dazwischen Tiere und Müll. Man biegt mitten in Europa um eine Kurve und ist in Zentralasien. Wir fuhren aus der Stadt hinaus und ca. 60km durch die Wüste nach Süden in den Ort Quobustan. Dort gibt es mitten in dieser unwirtlichen Landschaft einen zum UNESCO-Welterbe gehörenden Nationalpark, denn tatsächlich sind die Felsen und Höhlen der Gegend voll von prähistorischen Felszeichnungen. Nach der letzten Eiszeit war dies wohl mal eine fruchtbare Gegend. Heute gibt es neben den Zeichnungen diverser Jagdszenen aus jener längst vergangenen Zeit noch ein geologisches Phänomen, dass diesen Ort interessant macht. An mehreren Stellen blubbert aufgrund der dünnen Erdkruste in kalten Schlammvulkanen eine methanhaltige, schlammige Flüssigkeit aus dem Boden und bildet eine surreale Kraterlandschaft. Ein Polizist fing unser Taxi am Eingang des Nationalparks ab und bot uns an, uns für 30 Manat (ca 30€) zu den Schlammvulkanen zu fahren. Da wir bereits einen Fahrer hatten lehnten wir dankend ab, doch die einzige Alternative die er uns anbieten konnte, war dass er für 20 Manat vor uns her fuhr. Willkommen im Polizeistaat! Wir mussten also in den sauren Apfel beißen, dem Mann 20 Manat in die hand drücken und ihm den Rest des Weges folgen. Die blubbernde Mondlandschaft auf dem Vulkan und der phänomenale Blick über das kaspische Meer, mit all seinen Ölbohrinseln und Tankern, war jedoch eine angemessene Entschädigung. Egal wie man die Grenzen Europas definiert, hier ist definitiv der äußerste Punkt. Schon kurz hinter den dem Horizont beginnt die ewige Steppe Zentralasiens mit ihren für uns Europäer so schwer vorstellbaren Dimensionen. hier zogen einst Karawanen auf endlosen Wegen entlang der Seidenstraße. Und jetzt spielt hier die Eintracht im Europapokal…

Baku

Nachdem ich mittags meine Sachen im Hostel in der historischen Altstadt abgelegt hatte, traf ich schon bei einem ersten Rundgang durch die erstaunlich saubere und gepflegte Innenstadt an vielen Ecken auf andere Frankfurter. Man begrüßte sich erfreut. Auch die Einheimischen zeigten großes Interesse. Gefühlt jeder Mensch auf der breiten Uferpromenade am kaspischen Meer, der einigen Worten englisch oder deutsch mächtig war, kam auf mich zu und fragte mich aus, über Deutschland und Baku, über das Spiel und die Eintracht. Ein paar Frankfurter saßen am Ufer, winkten mich heran und drückten mir ein Dosenbier in die Hand. Auch ein paar nebenan arbeitende Bauarbeiter freuten sich über ein kühles Bier und dankten mit einem Lächeln und den Worten „heil Hitler!“. Nichts gänzlich ungewöhnliches in manchen Ländern, aber doch befremdlich. Ein hervorragend deutsch sprechender Vorarbeiter erklärte uns kurz darauf, dass viele Aserbaidschaner tatsächlich glauben es wäre besser gewesen, hätten die Nazis den Krieg gewonnen. Was auch immer das für sie bedeutet hätte, immerhin wäre ihnen in diesem Falle Stalin erspart geblieben. Man kann nur erahnen, was hier in knapp fünf Jahrzehnten Unterdrückung durch die Sowjetunion und im darauf folgenden Befreiungskrieg los gewesen sein muss. Vor diesem Hintergrund erklärt sich vielleicht auch warum die Menschen trotz des Polizeistaats und der allgegenwärtigen Korruption recht zufrieden zu sein scheinen. Zumindest in der Innenstadt Bakus herrscht ein gewisser Wohlstand, die Menschen fühlen sich sicher, sie gehen abends flanieren, tagsüber einkaufen, und nicht wenige sind dafür augenscheinlich bereit auf gewisse Freiheiten zu verzichten. Aber man erkennt auch gut, dass die junge Generation anders tickt. Mode und Freizeitverhalten deuten darauf hin, dass hier junge Menschen heranwachsen die sich sehr stark an „westlichen“ Idealen orientieren, die sich ihre Freiheiten ein Stück weit herausnehmen und man darf gespannt sein ob diese sich die Korruption und die allgegenwärtigen Polizisten ewig gefallen lassen werden.

Baku

Am Nachmittag saßen ca 300 Frankfurter auf dem zentralen Fountain Squaire in der Bakuer Innenstadt, tranken Bier und genossen das schöne Wetter. Einige junge Einheimische mischten sich darunter, augenscheinlich erfreut über den ungewöhnlichen Besuch. Schließlich setzte sich die ganz Gruppe in Bewegung und fuhr mit der Metro zum Nationalstadion das nach dem Linienrichter des WM-Finals von 1966 benannt ist, da dieser wohl die größte Persönlichkeit ist, die Aserbaidschan im Fußball hervorgebracht hat. Ja, das war der Linienrichter der das legenäre Wembleytor gegeben hat, und ja, das sagt viel aus über das Standing des Fußballs in diesem Land! Tatsächlich fristet er eher ein Randsportarten-Dasein und kommt nicht ansatzweise an die Popularität der Nationalsportarten Ringen und Schach heran! Am Stadion erwarteten uns dennoch zahlreiche Junge Fans, eingehüllt in Flaggen und mit allen möglichen Fußballtrikots bestückt, um uns mit lautstarken „Qarabag!“-Rufen zu begrüßen. Offensichtlich hatte man hier kurzerhand eine Art Länderspiel aus der Partie gemacht und alle Fußballfans des Landes standen heute geschlossen hinter dem FK Qarabag! Ein bisschen Provokation darf beim Fußball schon sein, allerdings lief das ganze Aufeinandertreffen extrem freundlich und von großem gegenseitigen Respekt geprägt ab. Zahlreiche Fotos wurden zusammen gemacht, ein paar Gesänge hin und her geschickt, Biere getrunken, Hände geschüttelt und schließlich ging es dann ab in das bereits gut gefüllte Stadion. Ich lief also die Treppe hinunter schaute ins weite Rund und fragt mich für einen Moment, ob das hier tatsächlich Baku war oder nicht vielleicht doch nur Braunschweig. Knapp 700 Eintrachtfans hatten die 4000km auf sich genommen, waren über Moskau, Mailand, Minsk oder Istanbul eingereist, teilweise sogar mit dem Zug aus Kiew, hatten Fahnen und Banner mitgebracht und standen jetzt laut singend hier im Block, als ob es ein ganz normales Auswärtsspiel wäre. Die gleichen Gesichter, die gleichen Lieder, die gleichen Fahnen… nur eben nicht an Elbe oder Isar, sondern diesmal am kaspischen Meer! Der Stadionsprecher tat derweil sein bestes die knapp 30.000 Aserbaidschaner in Stimmung zu bringen und brüllte ca alle 90 Sekunden irgendetwas in sein Mikrofon, was jedoch auch regelmäßig in ohrenbetäubender Lautstärke von den Rängen beantwortet wurde. Ich bin ganz froh, dass wir nicht erleben mussten was hier los gewesen wäre wenn Qarabag ein Tor erzielt hätte. So weit kam es jedoch nicht, obwohl sich der Gastgeber recht gut präsentierte. Am Ende siegte aber die Eintracht sicher durch zwei Meier-Tore und legte einen guten Grundstein für das Erreichen der Gruppenphase. Die Mannschaft kam in die Kurve um Trikots zu verschenken. Die Fans kamen auf die Tartanbahn um mit der Mannschaft ein Gruppenfoto zu machen. Die dazwischen stehenden Soldaten nahmen das alles gelassen und blieben stets freundlich. Ein Großteil der Fans flog noch am selben Abend zurück. Andere zogen weiter in die Bars und Clubs der Innenstadt, deren Clubszene wohl mittlerweile zu den Geheimtips in Europa gehören soll. Es wurde in jedem Fall noch eine lange Nacht in Baku!

Baku

Große Pläne werden in den letzten Jahren in Baku verwirklicht. In der Bucht spiegelt sich die Kristallarena, die eilig für den Eurovision Songcontest errichtet wurde, über der Stadt thronen die Flame Towers, drei frisch fertiggestellte, abstrakte Wolkenkratzer die das Stadtbild dominieren, und da wo die Autobahn zum Flughafen auf die Stadt trifft rollt seit einigen Jahren eine riesige weiße Welle aus dem Hügel. Zaha Hadid hat hier ein Kulturzentrum geplant, das in ihrem typischen Stil dynamisch aus der Topografie entsteht und mit fließenden Formen spannende Räume auffaltet. Um dort hin zu kommen bin ich aus der sauberen Innenstadt durch ein chaotisches Bahnhofsviertel und ein geschäftiges Handwerkerviertel, eine nach Koriander duftende Markthalle und über jede Menge Dreck auf den Straßen gelaufen und schließlich eine gigantische Freitreppe hinauf gestiegen. 15-20 Arbeiter waren damit beschäftigt die Treppe zu säubern, die Rasenflächen zu wässern und im Schatten zu dösen, aber außer mir war weit und breit kein Besucher zu sehen. Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese riesige Treppe mitten auf einer riesigen Wiese, ohne jeden Schatten und umgeben von mehrspurigen Autobahnen, ernsthaft jemals genutzt wird. Ich laufe zurück in die Innenstadt und schlendere durch die orientalisch anmutende, UNESCO-geschützte Altstadt mit ihren Teppichläden, Minaretten und alten Gemäuern. Hier scheint Europa plötzlich wieder weit weg, während man nur 100 Meter weiter auf dem Fountain Squaire oder auf dem Bulvar am Meer gefühlt auch genausogut in Südfrankreich sein könnte. Familien flanieren auf den breiten Boulevards. Eine Gruppe Jungs steht unten am Wasser und macht Musik. Junge Paare sitzen eng umschlungen auf den Bänken während alte Männer daneben Zeitung lesen. Von Polizeistaat, Diktatur oder Krieg ist hier nichts zu merken und doch ist all das ja Realität in diesem Land. Es ist nicht einfach das alles wirklich einzuordnen. Alles was man an jedem Ort und zu jeder Zeit sicher sagen kann ist, dass dies ein Land im Aufbruch ist. Ein Land das sich rasant verändert. Hoffentlich auch weiterhin in die richtige Richtung.

Baku

Neben den Schlammvulkanen gibt es weitere geologische Merkwürdigkeiten auf der Apsheron-Halbinsel auf der Baku liegt. Die Erde ist hier so voll mit Erdgas, dass es an einigen Stellen einfach aus den Felsen heraus strömt. Am Berg Yanar Dag wurde das austretende Gas angeblich in den 1950ern von einem Schafhirten mit einer weggeworfenen Zigarette entzündet und brennt seit dem mit 3-10m hohen Flammen. Natürliche „Brennende Berge“ existieren aber in der Umgebung von Baku wohl schon seit dem Altertum. Yanar Dag liegt in den nördlichen Vororten von Baku und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln eigentlich gut zu erreichen. Anar, ein örtlicher Couchsurfer hatte mir am Vorabend in einem Teehaus den genauen Weg erklärt. Die Metro ist zwar etwas kompliziert, weil es so gut wie keine Schilder gibt und Bahnen an der einen Station an der sich die beiden vorhandenen Linien kreuzen scheinbar nach belieben und ohne Vorwarnung ihre Linie wechseln. hat man das aber erstmal raus, kann man sich mit Bus und Bahn gut in Baku bewegen. Per Kleinbus geht es dann wieder durch staubige Vororte, Brachflächen voller Ölpumpen und Pipelines und entlang salziger Seen. Der Yanar Dag ist schon fast an der Nordseite der Halbinsel. Von oben sieht man die Badestrände am kaspischen Meer, die hier angeblich sauber sind, während südlich von Baku das Meer immerzu leicht ölig schimmert. Und wenn man dann vor diesem Berg steht aus dessen Flanke die Flammen lodern, ohne dass da irgendein Loch oder Spalt zu sehen wäre, fragt man sich schon unweigerlich, was hier noch so alles unter einem liegt. Jedenfalls ergibt das Bild der auf den ersten Blick protzigen und schlecht platzierten Flame Towers im Zentrum plötzlich einen Sinn. Flammen auf einem Berg sind tatsächlich ein sehr stimmiges Symbol für diese Stadt und ihre scheinbar unerschöpflichen Reserven an Energieträgern…

Baku

An der Autobahn zum Flughafen liegt neben vielen anderen Bauprojekten auch das neue Shafa-Stadion von Inter Baku. Ein nettes Schmuckkästchen für vielleicht 4000 Zuschauer haben die sich dort in die noch brachliegende Landschaft der Vororte an die Straße gestellt, die in absehbarer Zeit komplett von Luxusgebäuden gesäumt sein wird. Am Samstag spielte hier der eigentlich im 100km entfernten Zaqatala beheimatete PFK Simurg sein Ligaspiel gegen den FK Baku. Schätzungsweise 300 Zuschauer waren im Stadion, darunter einige sehr junge Fangruppen beider Mannschaften die mit Trikots, Trommeln und Fahnen bestückt, ihre Teams anfeuerten. Auch ein paar Frankfurter hatten den Weg in das Stadion gefunden, um mal zu beobachten wie denn nun wirklich der Leistungsstand in dieser Liga ist. Geld ist durchaus vorhanden, ein paar afrikanische und osteuropäische Profis auch. Dennoch fand zumindest dieses Spiel über weite Strecken eher auf Regionalliganiveau statt. FK siegte dank einiger sehenswerter Spielzüge mit 3-0. Der Fußball scheint sich hier momentan positiv zu entwickeln, doch der Weg überhaupt nur ins untere europäische Mittelfeld ist noch verdammt lang. Nach dem Spiel zogen die vermutlich letzten in Baku verbliebenen Frankfurter noch eine Runde durch das nicht zu verachtende Kneipenviertel. In der Nacht sollten schließlich auch wir die Stadt verlassen. Auf Flügen über Moskau, Mailand und Minsk. Oder mit dem Zug über Tiflis. Ein Abenteuer ging zu Ende und ich bin froh, dass ich dabei war! Denn wer weiß wann die Eintracht mal wieder in einer anderen Welt spielt…

Baku

Baku

hinter dem Polizisten her in die Wüste:

Baku

Baku

steinzeitliche Graffiti

Baku

Baku

Baku Innenstadt und der „Bulvar“ am kaspischen Meer

Baku

Baku

Baku

Baku

Baku

Baku

das neue Teppichmuseum

Baku

Baku

Baku Altstadt

Baku

Baku

Baku

Baku bei Nacht

Baku

Baku

Baku

Aserbaidschanische Liga und Sonnenblumenkerne…

Baku

Baku

Zahas weiße Welle

Baku





Luminale

28 04 2012
BockenheimDisco Kugel in OffebachDisco Kugel in OffebachDisco Kugel in OffebachDisco Kugel in OffebachDisco Kugel in Offebach
light paintingein ei auf der hauptwacheein ei auf der hauptwacheein ei auf der hauptwacheein ei auf der hauptwacheAlte Oper
OpertnurmAlte OperBockenheimBockenheimlive light paintinglive light painting

Luminale 12, a set on Flickr.

Mal ein paar Eindrücke von der Luminale in Frankfurt. Eine riesige Discokugel mitten im alten Industriegebiet am Offebächer hafen, ein beleuchtetes Ei auf der hauptwache, die alte Oper in leuchtend buntem Gewand, strahlendes Licht am Bockenheimer Campus und live Light-Painting mit Kölner Profis die mit Licht um einen herum malen…
Auf jeden Fall ein interessanter abend.